Sonntag, 18. März 2012

„Wer nicht sichtbar ist, existiert nicht.“ – Workshop zu (Selbst-)Inszenierungen im Netz

Im Gespräch: Anke Domscheit-Berg (Foto: Tanja Krokos)
Das Netz hätte eine neue Spielwiese für Frauen sein können. Ein Ort, an dem die Machtverhältnisse der Offline-Welt keine Rolle spielen. Aber auch hier zeigt sich: Es sind zwar mehr Mädchen und Frauen im Social Web, aber die Männer sind sichtbarer und bekommen mehr Clicks. Und warum scheinen Frauen lieber übers Stricken, als über den neuen Airbus zu schreiben? Ein Workshop mit Anke Domscheit-Berg und Susanne Klingner, moderiert von ZEIT-Redakteurin Cosima Schmitt.

Auf dem Podium sitzt die Frau, an der es kaum ein Vorbeikommen gibt, wenn es um Frauen im Netz geht: Anke Domscheit-Berg. Die Unternehmerin spricht heute über „Mein digitales Ich“. Sie hält zuerst einmal das „männliche Netz“ für ein Märchen. So sind bei Facebook etwa 57 Prozent Frauen angemeldet. Allerdings scheinen Frauen das Internet und vor allem soziale Netzwerke weniger für ihren beruflichen Vorteil zu nutzen. Genau hier wird es aber schon schwierig, denn für Domscheit-Berg gilt gerade in beruflicher Hinsicht: „Wer nicht sichtbar ist, existiert nicht.“ Sich gar kein Bild von einer Person im Netz machen können, sei ein schlechtes Zeichen. Deshalb lohnt es sich immer, den eigenen Namen zu googlen, zu schauen, was es für Ergebnisse gibt und die Seiten für die Außenwirkung so optimal wie möglich zu gestalten. Domscheit-Berg beschreibt das mit der „Produktion eines tolerierbaren Heuhaufens“ – es wird trotzdem irgendwer die Nadel darin finden, aber je mehr ich selbst mache, desto mehr kann ich das Bild von mir im Netz mitbestimmen. 

Eine weitere Erklärung für das „Märchen vom männlichen Netz“ ist vielleicht die, dass generell so genannte „Frauenthemen“ als unwichtiger betrachtet werden. Wobei die Frage für Domscheit-Berg on- als auch offline ist: Warum ist Technik wichtiger als Gesundheit? Mal ganz abgesehen davon gibt es aber auch Frauen, die sich in vermeintlich männlichen Themen herumtreiben, wie etwa das Government 2.0 Netzwerk Deutschland zeigt. Und schließlich scheint es, dass Frauen sich bei Angriffen im Netz eher zurückziehen. In einem Forum wie Wikipedia herrschen knallharte Edit-Wars, die vermutlich ein Grund sind, weshalb sich nur etwa 2 Prozent Frauen an der digitalen Enzyklopädie beteiligen. In einer aktuellen Studie der ZEIT kam heraus, dass etwa 90 Prozent aller Hass-Nachrichten im Netz von Männern kommen – und damit die Frauen zurecht weisen. Besonders unter dem Schlagwort „Feminismus“ gibt es einiges an Hass-Nachrichten. Domscheit-Berg stellt einige Beispiele vor, die an sie selbst gerichtet wurden: „Solche Frauen wie sie sind Schuld daran, dass Frauen eine Quote brauchen um Topjobs zu bekommen!“

In der anschließenden Diskussion sind sich alle Anwesenden einig, dass Angriffe im Netz auf Frauen auch als Gewaltangriffe auf Frauen zu verstehen sind. Es geht hier um Dominanz im öffentlichen Raum. Es sei eben so, dass das Internet per se kein männlicher Raum ist, aber einfach die Verdrängungs- und Machtmechanismen der Gesellschaft widerspiegelt. Deshalb schaut Anke Domscheit-Berg bei diversen Hass-Kommenatren auch nicht weg, weil sie sie als Spiegel der Gesellschaft sieht: „Die Gedanken sind ja da, auch wenn man sie sonst nicht mitbekommen hat.“ Wichtig ist ihr einzig das Motto „don’t feed the troll“ – also nicht auf den Scheiß reagieren, der einem manchmal entgegen kommt. Problematisch wird es vor allem dann, wenn die Kommentare nicht mehr nur über das Blog oder per E-Mail kommen, sondern per Hand in den Briefkasten vor der Haustür gesteckt werden. Gerade ist es leider so, dass es in Deutschland eine Impressumspflicht gibt, die die privaten Adressen der BloggerInnen für die Öffentlichkeit zugänglich macht. Manchen wird da bei stimmten Drohungen schon ziemlich mulmig.

Susanne Klingner steht zusammen mit ihrer Kollegin Barbara Streidl sogar auf einer schwarzen Liste. Wenn das Feminat, die Diktatur der FeministInnen, beendet sei, würde ihnen und anderen der Nürnberger Prozess gemacht. Klingner ist Netzfeministin, Mitgründerin der Mädchenmannschaft  und davon überzeugt, dass das Internet einen ziemlich wichtigen Anteil zum Revival des Feminismus geleistet hat. So ist für viele NetzfeministInnen das Netz an sich ein wichtiges Thema und natürlich die Präsenz von Frauen in diesem. Klingners Tipp: „Seid laut! Seid unbequem!“ Dass das Netz eine große Hilfe für Protest ist, hat etwa die aktuelle Petition zur Frauenquote in den Medien und die Organisation der Slutwalks in vielen Städten in Deutschland und weltweit gezeigt. Ohne die verschiedenen Internetforen für Frauen, wie etwa die Girls On Web Society bei Facebook, hätten sich solche Aktion nicht so schnell verbreiten können.

Was sich allerdings als Illusion heraus gestellt hat, ist die Idee, das Netz könne eventuell geschlechtslos sein. Theoretisch könnten Frauen ja auch Männer im Netz sein, doch Susanne Klingner glaubt: „Das Internet ist keine Mini-Playback-Show!“ Frauen werden im Netz nicht plötzlich zu anderen Menschen. Und wer sich als Frau fühlt, wird auch im Netz als Frau auftreten.

Ein paar Lieblingsblogs möchte eine Teilnehmerin am Ende abfragen. Bei Susanne Klingner steht feministing.com ganz oben auf der Liste. Es war vielleicht die erste netzfemistische Seite, die es gab und schon im ersten Jahr gab es über zehntausend Kommentare zu den Beiträgen dort. Gerne liest sie auch das Blog von Antje Schrupp, die sie „feministische Oberphilosophin im Netz“ berschreibt. Domscheit-Berg ist von „Augenschmaus“ vollkommen begeistert. Julia Probsts gibt in ihrem Blog Einblicke in ihr "taubes" Leben. Außerdem empfiehlt sie Anne Roths Blog, natürlich die Mädchenmannschaft und Frau Lila.

Text: Katrin Gottschalk, Online-Redakteurin des MISSY MAGAZINE

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