Herr Schimmeck, sie sind der einzige Mann unter den Referierenden auf der hiesigen Tagung, die ja explizit auf Frauen in den Medien fokussiert; Wie haben Sie Ihre geschlechtssensible Perspektive entwickelt und inwiefern spielt sie eine Rolle in Ihrer Arbeit?
Entwickelt? Keine Ahnung. Ich glaube
prägend waren da etwa meine Redakteursjahre in der
„Spiegel“-Burschenschaft. Klassische Männerrituale kamen mir
schon immer absurd vor, ich konnte damit nichts anfangen. Der
typische Umgang unter echten Kerlen bereitet mir manchmal geradezu
körperliches Unwohlsein. Heute habe ich überwiegend mit
Redakteurinnen zu tun, was ich genieße – auch wenn ich
mittlerweile nicht mehr glaube, dass Frauen per se die besseren
Menschen sind (lacht). Aber im Ernst: Das, was jetzt
„Gender“-Perspektive heißt, schwang in meiner Arbeit
wahrscheinlich immer irgendwie mit, schon in den taz-Anfängen, wo
die Quote ja bereits vor über 30 Jahren Thema und Realität war.
Zugleich wird dieser Gender-Stoff stetig komplexer und konfuser. Bei
meinen mittlerweile fast erwachsenen Töchter etwa kam das männliche
Geschlecht meistens als Störfall war, seit dem Kindergarten. Sicher
gibt es viele tolle Jungs. Der Mann an sich aber wirkt zunehmend
emotional inkompetent und entwurzelt. Ich will seit Jahren ein
Feature über „Jungs“ zu machen – auch um mich nochmal genauer
mit dem Thema Männlichkeit auseinanderzusetzen.
Hat diese Konfusion hinsichtlich dessen, was Männlichkeit heute bedeutet, auch mit der nachgerade „götzenhaften Verehrung starker Männerfiguren“ zu tun, die Sie in den Medien konstatieren?
Ganz sicher! Die Art und Weise, wie
etwa Ex-Kanzler Helmut Schmidt heute medial gefeiert wird, wie auch
ein Gauck vorab zelebriert wurde, ist wohl auch Zeichen einer
Sehnsucht nach dem Papa, eines irrationalen Rollbacks zur klassischen
Männerfigur, zum „Beschützer“, zum Heilsbringer. Andererseits
erklärt diese Konfusion – neben allem politischen Kalkül, das
hier mitspielte – auch einen Teil des Phänomens Andrea Ypsilanti:
Dieses totale Entsetzen der Medienmänner darüber, dass diese
„rothaarige Hexe“ mächtig werden könnte. Und die Schärfe, mit
der sie medial abgewickelt wurde.
Chris Köver (links), Tom Schimmeck (rechts) (Foto: Tanja Krokos) |
Chris Köver hat in ihrem Vortrag
über das Missy Magazine erklärt, dass die Missy-Redaktion fasst,
ausschließlich Frauen als Autorinnen anfragt und überwiegend über
Frauen berichtet – wäre der Fall Ypsilanti anders verlaufen,
hätten nur Frauen über sie geschrieben?
Während meiner wochenlangen Recherche
für das Kapitel über den „Fall“ Ypsilanti war mir eigentlich
permanent übel (lacht). Und da haben auch die Beiträge, die von
Frauen verfasst wurden, nicht wirklich Abhilfe geschaffen. Im
Gegenteil: auch Journalistinnen, darunter viele einst linke oder
liberale, haben sich beflissen und geradezu lustvoll am
Ypsilanti-Bashing beteiligt, sich der gleichen, von den Leittieren
vorgegebenen Sprache bedient und ihr zuweilen noch eine besonders
perfide, pseudo-einfühlsame Komponente hinzugefügt.
Wie erklären Sie sich – und uns –
das?
Die Grundfrage ist doch: Was machen
Institutionen mit dem Individuum, das sie durchschreitet?! Was ist
der Preis? Auch im Journalismus versuchen viele zunächst, echten
oder vermeintlichen Erwartungen zu entsprechen. Auf der Arbeitsebene
gibt es inzwischen sehr viele Frauen. Die wirklich mächtigen
Positionen aber sind bekanntlich weiterhin männerdominiert. Diese
Jungs setzen den Ton in vielen Redaktionen, machen die Spielregeln.
Frauen, die in einem solchen Umfeld bestehen wollen, Anerkennung und
Erfolg suchen, müssen sich an ihren Diskursen beteiligen. Oder
glauben dies doch zumindest. Meine Erfahrung sagt mir: Frausein
allein nützt wenig, schafft keinen besseren Stil, keine neuen
Sichtweisen und Inhalte. Die Quote muss sein. Viel wichtiger für
Frauen, die es „weit“ bringen wollen, scheint mir aber ein
stabiles Bewusstsein – zur Bewahrung der eigenen Identität.
Anstatt sich einen besonders kerligen Habitus zuzulegen, sollten
Frauen sich vor Augen führen, woher sie kommen und wofür sie
stehen.
Herr Schimmeck, vielen Dank für das
Gespräch!
Das Interview führte Sonja Erkens,
Autorin des Missy Magazines
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